Jenseitsvorstellung

Ein Leben nach dem Tode!

Bei sehr vielen altsächsischen Gräbern sind Grabbeigaben belegt. Hierbei handelt es sich um mit Speise und Trank gefülltes Tongeschirr, Waffen, Möbel, Werkzeuge, Geräte, Schmuck und sogar Pferde, Hunde und Sklaven. Dinge also, die der Verstorbene im Leben benutzt oder wertgehalten hatte. Zum einen dienten diese Beigaben dazu den Status des Dahingeschiedenen in der Gesellschaft zu dokumentieren – der Tote hatte einen Rechtsanspruch auf seine Beigaben. Zum anderen zeugt diese Praxis auch an den Glauben eines Weiterlebens nach dem Tode.

Sächsische Grabgefässe aus dem 7.– 8. Jahrhundert.
Abb.1 Sächsische Grabgefässe aus dem 7.– 8. Jahrhundert. Braunschweigisches Landesmuseum, Abt. Frühgeschichte in Wolfenbüttel

Doch wo sollte dieses "Weiterleben" stattfinden? Der Tote wurde in der Gemeinschaft seiner Vorfahren und Sippenmitgliedern auf einem Friedhof in einem Grab, bzw. Grabhügel bestattet und muss dort vor ihnen Rechenschaft ablegen. Die Vorstellung, dass die Toten im Grab, bzw. Grabhügeln weiterleben war bereits in der älteren Bronzezeit bekannt und hat sich über Jahrtausende bis in unsere Sagen weitervererbt. Auch die Wesen der niederen Mythologie, wie Elfen, Feen, Zwerge, Alben und Disen lebten in Bergen. Karl der Große lebt der Sage nach im Untersberg, Kaiser Friedrich Barbarossa schläft im Kyffhäuser, Herzog Widukind in einem Hügel an der Weser und König Artus im Cadbury Hill in Südwestengland.

Grabbeigabe
Abb.2 Schmuck und Haushaltsgeräte als Grabbeigabe

Es bestand also eine Gemeinschaft von Toten, die nicht auf der Erde, sondern unter der Erde weiterlebte. Hierzu eine weitere Sage: Der Friesenkönig Radbod (Herrschaftsdauer 679- 719) wurde durch den Missionar Willbrord auf das Christentum aufmerksam. Kurz vor der Taufe im Jahr 700 fragte Radbod, ob er denn im Himmel auf seine Vorfahren treffen würde. Die Missionare verneinten dieses. Alle Heiden seien in die Hölle gekommen. Daraufhin machte Radbod einen Rückzieher mit den Worten: "Lieber bin ich frei bei meinen friesischen Vorfahren in der Hölle als bei den Franken im Himmel" und verweigerte die Missionierung.

Das Schattenreich Hel

In der Mythologie ist von einem Totenreich der Göttin Hel die Rede. Hier gehen alle Verstorbenen ein. Hel ist in diesem Sinne kein "Strafort" und ist nicht mit der christlichen Hölle gleichzusetzen. Es ist vielmehr als ein neutraler Aufenthaltsort für diese verstorbenen Menschen anzusehen.
Etymologisch steht Hel weiter zum Verb "verhehlen", ist also als "das Verborgene" zu deuten. Auch hier könnte man sich demnach ein Weiterleben von Toten in Bergen oder Grabhügeln vorstellen.

Tote zu den Toten

Ein Beispiel aus archäologischer Sicht: Im Grabhügel (Tumulus) von Klein-Vahlberg (Ostfalen) befanden sich zuunterst zwei neolithische Hockerbestattungen und darüber ein bronzezeitliches Steinkammergrab. Etwa 1,40 m oberhalb des Kammergrabes trafen die Ausgräber auf eine Körperbestattung einer Frau, die Frau Dr. Ludowici (Landesmuseum Braunschweig) aufgrund der gefundenen Riemenzungen in das Jahr 600 datiert. Der Tumulus ist vermutlich aus Anlass dieses Begräbnisses erheblich erweitert worden. Etwa 1,10 m über diesem Grab befand sich ein Scheiterhaufengrab, bzw. die ausgestreut beigesetzten Reste einer Einäscherung. Hierzu ist der Grabhügel erneut um mindestens einen Meter weiter aufgehöht worden. Diese Brandbestattung dürfte mit Sicherheit auch noch im 7. Jahrhundert stattgefunden haben. Es liegt hier die Vermutung nahe, dass der (oder die) verbrannte Tote ein Mitglied des Familienverbandes der körperbestatteten Frau war, da die Nutzung des Grabhügels als Grabstätte nur einer bestimmten Personengruppe vorbehalten gewesen ist.

Runenstein aus Tjängvide (Schweden)
Abb.3 Runenstein aus Tjängvide (Schweden) aus dem 8. bis 9. Jahrhundert. Die rote Bemalung stammt aus neuzeitlicher Zeit.

Das "Prinzip Walhall"

 Auf dem Runenstein von Tjängsvide aus dem 8.- 9. Jahrhundert wird im oberen Abschnitt ein gefallener Krieger auf einem achtbeinigen (als Symbol der Schnelligkeit) Pferd dargestellt, der hier von Walküren begleitet, vermutlich in Walhall einreitet. In literarischen Quellen ist Walhalla in erster Linie der Wohnort Odins in Asgard, wo er gefallene Krieger um sich sammelt. Laut Prof. Rudolf Simek wurden die Tore von Walhalla jedoch erst im 8. Jahrhundert im skandinavischen Glauben für Wikinger geöffnet und widerspricht damit Dr. Wilhelm Gebers, der in seinem Buch über die Ausgrabungen in Rullstorf recht anschaulich erklärt, das die Altsachsen mit ihren Pferden "auf dem Weg nach Walhall" waren. Sollte Simek mit seiner Theorie Recht behalten, so wäre das "Prinzip Walhalla" zeitlich gesehen vermutlich schon bekannt, aber für uns dennoch ohne Relevanz. Wir können den sächsischen Glauben hier nicht mit dem nordgermanischen, bzw. skandinavischen Glauben gleichsetzen.